Ausstellungsprojekt / Multimedia Installation
Juni 2019, Atelierzentrum Ehrenfeld, Köln
Köln Spricht – Podiumsdiskussion & Finissage: 30. Juni 2019 im Atelierzentrum Ehrenfeld in der Ausstellung
«MUNAQABBA – Über Frauen in Vollverschleierung in Deutschland»
Moderation: Ute Wegmann
Gäste:
Sabine Damir-Geilsdorf, Professorin für Islamwissenschaft: Arabische Gesellschaften und Kulturen, Orientalisches Seminar
Lamya Kaddor, Publizistin, Religionspädagogin, Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bunds e.V.
Prof. Dr. Stefan Muckel, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht
Aysa und Meryam, Protagonistinnen in Vollverschleierung
Nouhaila, Düsseldorf / legte 2018 den Schleier ab
19 Jahre / Name und Stadt dürfen nicht genannt werden
M., 20 Jahre, christlich aufgewachsen /
Name und Stadt dürfen nicht genannt werden
Warum wird die sogenannte Burka-Debatte in Deutschland so emotional geführt? Und warum kommen dabei diejenigen, um die es geht, selbst am wenigsten zu Wort? Das fragte sich die Fotografin Selina Pfrüner und beschloss, in der Begegnung und im Gespräch mehr über die Lebenswirklichkeiten dieser vollverschleierten Frauen herauszufinden.
Munaqabba – das ist der arabische Begriff für Frau mit Gesichtsschleier.
Der Dialog mit diesen Munaqabbis wurde die Grundlage der Multimedia Installation, in der sich Selina Pfrüner dem Phänomen der Vollverschleierung in Deutschland auf sensible und doch unmittelbare Weise nähert. In Interviews spricht sie mit Munaqabbis über ihren Alltag, ihren Glauben, entdeckt Ähnlichkeiten und Unterschiede – und reflektiert dabei, was die Andersartigkeit Anderer mit uns macht. Sie verschafft ungewohnte Einblicke in eine verschleierte Wirklichkeit – unter anderem durch lebensgroße auf Stoffe projizierte Video-Portraits, Audio-Beiträge und Fotografien der Kleidung, die Frauen unter der Vollverschleierung tragen.
Eine multimediale Ausstellung, die zum Zuhören und Mitreden einlädt
Die Fotografin versteht ihre künstlerische Arbeit als eine Plattform, um schwierige, komplexe und zugleich sensible Themen zu diskutieren. Daher umfasst die Ausstellung ein umfangreiches Rahmenprogramm mit vielfältigen Veranstaltungsformaten: eine Podiumsdiskussion mit Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis, Begegnungen mit den fotografierten Munaqabbis und der Möglichkeit, mit Hilfe der vollverschleierten Protagonistinnen die Vollverschleierung anzuprobieren. Ausstellungsführungen und Vorträge runden das Programm der Ausstellung ab.
Die Ausstellung und Veranstaltungen finden in Kooperation mit der Kuratorin Janine Koppelmann, Artrmx e.V. und Köln Spricht statt. Sie wird gefördert vom Kulturamt der Stadt Köln, Interkulturelle Impulse 2019 des Landesbüro NRWs und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalens.
Amina, Bonn / Mutter von 6 Kindern
Nouhaila, 21 Jahre, Düsseldorf
Ruqayya, 20 Jahre
Amal, 20 Jahre, Düsseldorf
Mai 2017
Mein Name ist Amatullah. Ich bin letzte Woche 16 Jahre alt geworden. Ich komme aus Bosnien, lebe aber jetzt schon lange hier. Kurz vor der ersten Klasse habe ich Deutsch angefangen zu lernen. Integration und so. (lacht)
Ich komme aus einer nicht-muslimischen Familie. Soviel ich weiss. Ich habe nämlich sehr sehr wenig Kontakt mit meinen Verwandten. Also eigentlich gar nicht. Ich weiss, mein Vater ist orthodox und meine Mutter ist katholisch.
In Bosnien ist das so, 51 % sind Muslime, und die anderen sind Christen. Gemischt unter katholisch und orthodox. Also bei mir ist es sehr sehr gemischt. Ich glaube auch, dass ich muslimische Verwandte habe, aber ich weiss es halt nicht genau, weil ich eben keinen Kontakt mit ihnen habe.
Warum möchte ich bei diesem Projekt mitmachen: Weil ich einfach zeigen möchte, dass Niqab nichts Fremdes ist. Nichts spektakulär Aussergewöhnliches. Und nicht irgendwas, was mit Terroristen oder, keine Ahnung, Extremisten, oder ich weiss nicht, wie man das alles nennt.
Der Niqab ist für mich eine Freiheit, die ich mir ausgesucht habe, weil ich eben diese Freiheit, die der Islam mir bietet, in Anspruch nehmen möchte. Und so natürlich auch näher zu Gott kommen möchte. Gottes Regeln folgen möchte. Und mich einfach so besser, selbstbewusster und selbstbestimmender fühle als Frau. (lacht) Als Mädchen.
Meine Erfahrungen, die ich habe – also ich trage seit Oktober 2016 Kopftuch. Äh, Niqab. Und Kopftuch trage ich seit November 2015. Also mit 14. Was heisst Kopftuch, also Chimar und alles.
Meine Erfahrungen – sehr unterschiedlich! Manchmal kommen die Leute zu mir und fragen mich einfach. Das ist aber selten, ehrlich gesagt. Weil, ich lebe ja in München, und das ist dort schon so, dass man öfter Kommentare bekommt. Was mir aber auch aufgefallen ist, dass die Obdachlosen oder eben betrunkene Menschen, sehr aggressiv und laut kommen, mir sogar hinterher laufen. Das ist manchmal sogar richtig übertrieben. Dass die manchmal sogar durch die ganze U-Bahn schreien. Das ist mir schon mehrmals passiert.
Was mir leider auch passiert ist, dass sie mich zum Beispiel anspucken wollen. Also gespuckt hat, aber hat mich Gott sei Dank nicht getroffen. Ja, oder irgendwelche Drohungen und Vergleiche. Wir seien wie irgendwelche Hunde und so. Aber irgendwann hört man da einfach nicht mehr so zu.
Was bei mir der Auslöser war? Also ich bin ein Mensch, der würde niemals, …also ich bin ja konvertiert zum Islam, mit 13. Ich bin so ein Mensch, ich lasse mich gar nicht gerne, wie sagt man, beeinflussen. Überhaupt nicht. Ich bin ein sehr sehr sturer Mensch. (lacht) Und hat so seinen eigenen Kopf und so. Deswegen, ich hab hier auch niemanden so gehabt. Bis vor ungefähr zwei Monaten. Also so von muslimischen praktizierenden Freunden. Ich habe jetzt hier eine Schwester kennengelernt, die masha’allah, sehr praktizierend ist und auch Niqab trägt. Aber bevor ich sie kennengelernt habe, hatte ich es schon getragen.
Bei mir war der Auslöser so, dass ich eben, ich weiss nicht genau, ich bin mir nicht mehr sicher, ob es ein Tagtraum oder ein Traum war. Aber das war…Ich habe sozusagen wie ein Bild gesehen. Dass es ein ganz bestimmtes Gefühl ist, ein ganz bestimmtes Wetter. So eins, wo Sonne scheint. Es auch ein bisschen orange ist und wo man mitten in der Stadt ist. Alles ist grau, Plattengebäude und so. Und da hab ich das Gefühl, dass ich einen Niqab trage. Und in dem Moment so durch die Straßen gehe. Und dann bin ich zu einer Freundin von mir gegangen. Zu ihrer Oma. Da war ich noch nie davor. Und dann bin ich rausgegangen, also ich wollte kurz rausgehen, wir wollten halt dann spazieren gehen und dann ist mir aufgefallen, dass das was ich mir gewünscht hatte, was heisst gewünscht, geträumt hatte, wie es ausschauen würd, also wie ich dann Niqab trage, dass ich dann genau gedacht habe, „ja ich muss jetzt Niqab tragen!“
Wann ist denn der beste Zeitpunkt, als dann was jetzt ist, wo ich mich bereit fühle, und gut fühle. Und das krasse ist auch, dass ich mir eben, ich glaub zwei Wochen, oder eine Woche davor, hatte ich mir eben einen Niqab gekauft gehabt, zu meiner Sicherheit. Da ich eben geschaut hab, ob vielleicht mein Vater mich sehen könnte, da ich ja eben davor Chimar getragen hab. Und ihm eben mein Gesicht gezeigt hab. Und dann wollt ich eben einen Niqab haben, das ich eben nach oben mache und wenn es zu Notfällen oder so kommt, einfach dass ich’s nach unten machen kann.
Und das war eben das krasseste, dass ich es eben dabei hatte. Und dass es in diesem Moment genau so war wie in meinem Traum. Und dann hab ich gesagt, ja OK, dann zieh ich jetzt Niqab an. Und es war von der ersten Sekunde an wunderschön!! Ja, alhamdulillah (Gott sei Dank).
Es wäre mir sehr sehr wichtig, dass meine Stimme nicht für die Männer zu hören ist. Es wäre OK, wenn es Frauen hören.
Generell mag ich es nicht, wenn Männer meine Stimme hören. Im Islam gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die Stimme, genau so wie der Körper, gehört zur Awrah der Frau.
Ich weiss nicht genau, wie man das so auf Deutsch sagt, aber durch die Stimme da kann man ja schon die erste Art Unzucht begehen. Ich selber zum Beispiel möchte nicht, dass fremde Männer meine Stimme hören. Weil es eben der Beginn dazu ist. Ich darf meine Stimme zeigen, also vor Männern reden, wenn es eine Notwendigkeit ist. Zum Beispiel jetzt irgendwie an der Kasse oder beim Bestellen. Trotzdem darf ich aber nicht mit so singenden Worten, oder so lieblichen Worten reden. Nicht in einem Ton, der so alles verschönlicht, versüßlicht. Das geht nicht im Islam. Sich einfach klar ausdrücken, was man möchte und nicht mehr. Wenn du jetzt gerade eben neben einem Mann stehst, der mich jetzt hören könnte, das geht eben gar nicht. Ich würd auch niemals mit einem Mann telefonieren. Wenn man mit der Stimme, ich weiss gerade nicht wie ich es erklären soll, aber es gibt eine – jetzt nicht gleich Erregung – aber es gibt halt auch Männer, die dann von der Frau was erwarten.
Januar 2018
Es ist ja im Islam nicht verpflichtend, einer Rechtsschule zu folgen. Eine Rechtsschule ist ja nur, wie soll ich sagen, eine vereinfachte Form. Es ist ja trotzdem Islam. Wenn ich Hannifi folge, bin ich genau so Moslem, wie wenn ich Meliqi folge. Und es ist einfacher für uns, wie soll ich sagen, von vier Rechtsschulen werden bestimmte Sachen anders verstanden. Und es ist richtig und man kann ihnen folgen. Im Islam ist es allerdings so, dass man sagt, dass man in einer Sache immer der Mehrheit folgen sollte. Man soll keiner, und ich tue es auch nicht, keiner Rechtsschule blind folgen. Aber ich bin sehr geprägt von der hannbalitischen Rechtsschule. Saudi-Arabien ist zB. auch hannbalitisch. Man sagt, dass sie die Rechtsschule ist, die am meisten Koran und Sunna folgt, und in Meinungsverschiedenheiten, dass die von Hannbal, die stärkste ist. Man hat auch über seine Person gesagt, dass sie dem Propheten am meisten geähnelt hat. Dann sagt man noch, dass die hannbalitische Rechtsschule die strengste ist. Trotzdem tu ich nicht alles folgen, was die hannbali vorgibt. In manchen Dingen folg ich jetzt zB. Meliqi.
Also ich hab jetzt noch ein Jahr Schule. Ich wär schon jemand, der gerne heiraten möchte. Also ich bin jetzt 16 und schon mit 15 hätte ich schon heiraten können. Also von mir aus. Weil was jetzt Haushalt und so alles angeht, ich hatte schon mit 13 bevor ich konvertiert bin, so ein Gefühl, „lern das jetzt! Du musst jetzt anfangen, das zu lernen“. Keine Ahnung, das war so ein innerer Instinkt. Und jetzt bin ich so zuhause diejenige, die meistens kocht und so. Genau, deswegen, ich persönlich würde schon gerne heiraten. Auch jetzt neben der Schule. Weil ich nicht glaube, dass die Schule viel beeinträchtigen würde. Das würde jetzt nicht viel mein Leben beeinträchtigen.
Das Problem ist einfach, in München gibt es nicht viele praktizierende Muslime und es ist auch so, dass ich nicht so viele islamische Kontakte habe. Ich hab null Kontakt mit Männern. Ich hab keinen Bruder, kein Vater, kein Onkel, kein Opa, nix. Die Kontakte die ich habe, sind so in meinem Alter und haben auch keinen Mahram. Deswegen warte ich ab, insha’alla. Die richtige Zeit wird schon noch kommen.
Ich möchte Islam studieren, das ist mein großer Wunsch. Ich möchte das aber nicht machen, bevor ich heirate. Bevor ich heirate, möchte ich das Land nicht alleine verlassen. Und mit den ganzen Bezahlungen und so weiter. Ich darf ja auch noch nicht alleine reisen.
Ich weiss nicht, was man für das Islamstudium braucht, ob ich wirklich Abi brauche. Und ich weiss ja nicht, wann ich heirate. Deshalb mach ich nächstes Jahr erstmal meinen Realschulabschluss und dann mach ich entweder BOS oder VOS und hänge dann noch ein Jahr dran und würde dann studieren und dann muss ich halt heiraten. Aber ich würde schon gerne davor. Ich fühle mich einfach bereit. Ich finde das einfach sehr schön. Ich komm mir halt doch schon sehr alleine vor. Im Praktizieren hab ich niemanden. Meine Mutter ist ja kein Moslem. Ja auch Bekanntschaften keine, es ist mehr so auf Distanz sozusagen.
Ich trage meinen Niqab immer. Also abgesehen von zuhause. Und in der Schule.
Ich trage das Niqab auf dem Weg zur Schule. Bis zur Haustür von der Schule und dann tu ich’s abnehmen. Im Gebäude bin ich dann ohne Niqab, aber ich bedecke mich sehr.
Seit einem Jahr trag ich jetzt Niqab. Ich trage Niqab, Handschuhe, und manchmal trag ich auch Netz. Ich wollte so einen Chiffon Stoff über meine Augen tragen, aber ich hab halt Angst. Das ist ja keine Pflicht. Und der Niqab ist ja Pflicht.
Alle vier Rechtsschulen sagen, es ist Pflicht. Eine Rechtsschule hat gesagt, dass es in bestimmten Fällen nicht Pflicht ist. Zum Beispiel, wenn du einen Nachbar hast, der ist ein alter Mann und du kennst den schon ganz lange, seit du klein bist, gibt es eine Rechtsschule, die Hannafitische Rechtsschule, die sagt, dass es in diesem Fall dann nur empfohlen ist, aber nicht Pflicht. Aber sonst, wenn die kleinste Fitna, also Versuchung besteht, wird es zur Pflicht. Aber das mit dem Chiffon Stoff ist eben keine Pflicht. Und ich bin halt ängstlich, weil ich wohn ja in München, und die Leute, sind manchmal schon sehr schlimm.
Also im Winter, sind sie nicht so schlimm wie im Sommer. Im Sommer, da ist es echt… Da wird man täglich angeschrien, angebrüllt, Leute wollen einen anspucken. Aber im Winter nicht so.
Ich geh in die 9. Klasse gerade und mach jetzt eben mein Quali. Ich habe meinen Niqab dann nach oben geklappt. Man sieht nur noch ein bisschen von meinen Lippen, meine Augenbrauen nicht, also wirklich auf das allernötigste vom nötigsten beschränkt. Aber trotzdem bin ich unzufrieden. Ich würde trotzdem gerne Niqab tragen. Und so Sachen wie Ausflüge und so, kann ich nicht, werd ich nicht teilnehmen, wenn man mir das nicht erlaubt zu tragen. Das ist für mich eine Sache, die ist wichtiger. Besser kassier ich einen Verweis, als dass ich meinen Niqab ausziehe. Das ist für mich einfach eine Priorität. Und das ist einfach schade, weil wir machen coole Ausflüge in dieser Schule. In meiner alten Schule haben wir nie was gemacht. Ich find das schon traurig, weil wir Munaqabba, wir Frauen, die Niqab tragen, wir halten uns nicht aus der Gesellschaft heraus, wir möchten ja dazu gehören, aber wenn uns jemand nicht die Chance, die Möglichkeit dazu gibt, und die Akzeptanz und Toleranz, dann können wir auch nicht machen.
Leider ist es so, dass ich mit dem Niqab nicht zur Schule gehen kann und nicht arbeiten kann. Am liebsten wär ich dahinter, sag ich mach die Ausbildung, mach die FOS. Aber dieses „du darfst keinen Niqab tragen“ ist für mich wirklich schlimm. Ich fühle mich in meiner Person, in meinem Sein, auch Moslem-Sein, sehr diskriminiert. Das ist nicht so ein kleiner Part, wie man sich vielleicht denkt. Das ist, so als würde man ohne Niqab, jetzt einfach nackt durch die Straße laufen. Weil das Gesicht ist genauso meins. Es ist mein Körper. Viele verstehen das einfach nicht. Viele sagen, das ist doch nur dein Gesicht. Das Gesicht gehört aber mir. Es gehört nicht jemand anderem. Und wem ich es zeige, ja, das ist ein Geschenk. Der Körper ist ein Geschenk. Und wem ich dieses Geschenk mache, sollte ich entscheiden. Und nicht andere Leute. Das ist auch das, was ich am Islam liebe. Dieser Schutz auch der Frauen.
Ich weiss einfach wie das ist. Ich komme ja aus einer sehr kriminellen Familie, wo Frauen sehr sehr Schlimmes zugetragen wird. Dieser Schutz einfach, dieser Schutz von Innen und Aussen, das ist so wunderschön. Das kann man gar nicht in Worten beschreiben.
Und auch dieser Gedanke, mit dem Reden. Ich rede mit klaren Worten vor Männern, damit die mich nicht als Objekt sehen. Als eine Frau, die irgendwas von ihnen will, sondern als einen Menschen, wie soll ich das sagen, die gerade ein Ziel vor Augen hat und nicht mehr. Und dass es diese klare Linie gibt.
Genau so ist es mit der Kleidung. Dass ich bestimmen kann, dass ich Herr über meinen Körper bin. Und dass nicht jemand anders bestimmen kann über meinen Körper. Was ich anziehe, wie ich ausschauen soll. Auch die ganzen Schönheitsideale. Man sieht die Leute, so viele sind magensüchtig oder total dick, lebensgefährlich dick. Das ist einfach ein Problem. Das sind Auswirkungen von dieser heutigen Gesellschaft, von diesen Medien. Die Mädchen, die schätzen ihren Körper nicht. Die schätzen nicht ihre Schönheit. Ich weiss, wie wichtig es für uns ist, auch für mich ist, wenn man sich schön fühlt. Wenn man sich schön und wohl in seinem Körper fühlt. Das hat mir auch meine Bedeckung gebracht. Das ist einfach eine komplett andere Einstellung zu deinem Körper mit einer Bedeckung. Das ist ganz anders, wie wenn ich jetzt Kopftuch trage mit einer Hose und T-Shirt. Sondern wirklich die Bedeckung mit Jilbab, Niqab, Handschuhen. Erst das hat mich das wirklich gelehrt.
Der Niqab ist in meinem Leben schon sehr vorhanden. Viele Fragen mich danach. Und nach einem Mal verstehen die das eigentlich auch.
Einerseits sagt meine Mutter, es ist in Ordnung. Andererseits hat sie total was dagegen und will mit mir so nicht rausgehen. Es ist sehr stimmungsabhängig. Aber zuhause trag ich meinen Niqab ja nicht. Und meine ganze Bedeckung, meinen Überwurf auch nicht. Und bin dann so wie jedes andere 16jährige Mädchen auch. Ich liebe Schminke. Also was Ausbildung angeht, hab ich mir überlegt, ob ich Kosmetikerin werden soll. Aber da ist immer das Problem, wer soll mich dann einstellen? Wegen meinem Niqab. Jetzt zB. bei Douglas. Die würden ja nicht eine einstellen mit Niqab. Und da ist ja dieses Verbot in München im öffentlichen Dienst zu arbeiten mit Niqab. Das ist alles wirklich schwierig und das belastet mich auch ganz schön. Und weil ich einfach keinen Ausweg sehe. Und die Leute, die mir eigentlich helfen sollten, wie zB. Agentur für Arbeit oder so, sehen dann in mir das Problem. Und das find ich halt schlimm. Man sollte nicht daran arbeiten, dass ich meinen Niqab ausziehe, das bin ja nicht nur ich, die das trägt, sondern Lösungen finden. Es tragen viele Frauen in Deutschland. Es tragen immer mehr. Weil das immer mehr Frauen auch verstehen. Medien werden immer brutaler, immer krasser. Und man fragt sich auch, was soll das Ganze? Was soll das Ganze mit dieser Nacktheit? Ich würde mich total als Feministin bezeichnen. Ich bin total feministisch eingestellt, aber nicht auf diese brutale Weise, dass Frauen sollten alles übernehmen. Ich weiss nicht, wie ich das erklären soll, es gibt Männer auf dieser Welt und die wird es auch immer geben. Aber man sollte den Frauen ihre Rechte geben. Und Sachen, wie jetzt Gewalt, da würde ich selber gern was dagegen tun, Organisationen unterstützen und so. Für die Rechte der Frauen, dass jede Frau Schuldbildung bekommt und so weiter. Genauso das Recht zu Arbeiten.
Ich jetzt, würde nicht arbeiten, weil es einfach besser ist für eine Frau nicht zu arbeiten. Weil es gibt viele positive Dinge darin, Gutes darin, nicht so viel Stress für die Frau. Wenn eine Frau Kinder hat und dann dazu noch arbeiten muss, das ist wirklich zu krass. Egal wieviel ein Mann mithilft im Haushalt, ist trotzdem die Frau die, die das meiste macht. Das ist einfach so. Da ist jetzt auch nichts zu verteufeln. Das ist auch nicht schlimm. Trotzdem sollte man die Frau dann nicht noch so belasten, dass sie noch voll Tags arbeitet. Das finde ich halt nicht gut.
Trotzdem finde ich, wenn das jetzt jemand machen möchte, sollte er dem nachgehen. Aber natürlich im halal Bereich. Deswegen würd ich mich auf jeden Fall als Feministin bezeichnen.
Weil mich niemand einstellen würde, hab ich recht wenig Perspektiven. Und niemand gibt mir die Perspektiven. Niemand gibt mir Tips. Niemand will was ändern an der Situation.
Die, die keine Muslime sind sagen immer, man soll sich integrieren. Die muslimische Frau soll arbeiten. Aber wie soll die muslimische Frau sich integrieren, im Berufsleben und arbeiten, wenn sie keine Möglichkeit hat, ihre Bedeckung, was für sie sehr wichtig ist und eine hohe Priorität hat, anlassen darf? Natürlich arbeitet die muslimische Frau dann nicht. Als würde sie das jetzt ausziehen. Nein. Weil das ist eine Priorität. Das ist eine wichtige Sache für uns. Man geht auch nicht einfach mit Bikini in die Schule.
Momentan geh ich noch in die 9. Klasse (Januar 2018). Das liegt daran, dass ich zweimal durchgefallen bin. Also nicht wegen der schulischen Leistungen. Sondern das war auf psychischer Basis. In der 5. Klasse war ich im Gymnasium. Ich hatte eine sehr schwere Kindheit, mit sehr viel Gewalt und Zwang und so. Ich und meine Mutter, wir sind von zuhause weggelaufen. Da war ich knapp fünf einhalb, bald sechs Jahre alt.
In der 5. Klasse hatte ich sehr viele Probleme mit mir selbst, mit meinem ganzen Leben. Ich konnte das nicht verarbeiten. Der ganze Schulstress wurde mir zu viel. Das war zu viel Druck. Das ging mir auf die Gesundheit. Ich hatte viel Bauchschmerzen. Fast schon Blackouts.
Und dann bin ich letztes Jahr, eigentlich auch nicht wirklich wegen meiner Leistung, durchgefallen. Ich bin eigentlich eine gute Schülerin. Ich war sonst immer ne 2er Schülerin. Letztes Jahr wurde ich, – ich trage ja seit einem Jahr den Niqab, alhamdulillah – aus meiner Schule geekelt. Ich wurde richtig, auf brutalste Weise von den Lehrern und von der Rektorin vor allem, gemobbt. Mir wurden Sachen unterstellt, ich hatte tausende Gespräche, während der Schule, in dem sie schauen wollten, ob ich Terroristin bin.
Das ist so was von paradox. Weil man merkt sofort, wenn man mit mir redet, dass ich nichts mit diesen Leute, die die Feinde des Islams eigentlich sind, die Kinder und Frauen umbringen, und diese ganzen Taten begehen, also Daesh meine ich, der IS, dass ich überhaupt nichts mit diesen Leuten zu tun habe. In keinster Weise.
Dann hab ich echt viele Gespräche führen müssen, auch während der Schulzeit.
Und dann wurde ich angezeigt. Weil ich am islamischen Zuckerfest, war ich nicht in der Schule. Alle anderen hatten keine Probleme, mit der Befreiung. Dann hat mich die Rektorin angezeigt und wollte, dass meine Mutter Bußgeld bezahlt, weil sie sagte, du bist ja gar kein Moslem, weil ich ja konvertiert bin, sehe sie es an dem Tag, als hätte ich Schule geschwänzt.
Dann hat sie die Antiterror Einheit München in meine Schule eingeladen. Total spontan, ich hab nichts davon gewusst. Ich hatte total Angst. Fünf total hohe Tiere, wie man auf Deutsch so schön sagt, sitzen im Büro und fragen mich aus. Und wenn ich dann eine Sache sage, sagen sie „Ha, das tut sich jetzt aber wiedersprechen! Das das und das…“ Das war wirklich so schlimm, dass ich dann nach dem Gespräch, – ich bin wirklich ein toughes Mädchen eigentlich, aber nach dem Gespräch bin ich nur in mein Klassenzimmer und hab angefangen zu heulen. Das war so schlimm. Die ganze Situation, die Lehrer, mein Gott, die Lehrer haben immer etwas kritisiert an meiner Kleidung, aber auch generell um meinem Glauben. Da sind die einfach überhaupt nicht gut drauf klar gekommen, dass ich einfach praktizierende Muslimin bin.
Und immer wieder auch mit der Kleidung. In der Schule darf ich keinen Niqab tragen, weil es in Bayern verboten ist. Das ist wirklich sehr schlimm für mich. Weil ich dann überhaupt keine Zukunft hab, was Beruf angeht. Mit Niqab. Das macht mich fassungslos. Es ist einfach traurig, dass man sagt, in Deutschland gibt es Religionsfreiheit und dass es dann auf diese hinterhältige Weise solche Verbote und Diskriminierungen gibt.
Und das in meiner Schule war eine absolute Diskriminierung. Niemand wollte mir helfen. Wenn ich jemandem erzählt hab davon, haben die Leute mir die Schuld gegeben. Weil ich ja den Niqab trage. Weil ich ja Moslem bin, weil ich es ja zeige, dass ich Moslem bin. Weil ich mich halt so verändert habe. Auch meine Sprache.
Ich bin jetzt 16 Jahre alt und früher klang ich halt viel jugendlicher. Ich bin mit 13 konvertiert. Meine Mutter hat das auch alles so ein bisschen mir in die Schuhe geschoben. Das hat sie aber auch alles sehr gestresst. Die Direktorin hat meine Mutter tyrannisiert. So oft hat sie sie angerufen und wollte dann irgendwelche Gespräche. Und hat dann verlangt, dass sie sofort alles liegen und stehen lässt auf der Arbeit und direkt zu ihr fährt. So ohne Grund. Das war wirklich richtig schlimm.
Das ging dann weiter, dass das Jugendamt Bescheid bekommen hat. Ich hab jetzt auch das Gefühl, dass mein Handy kontrolliert wird, also zugehört wird, wenn ich telefoniere. Als würd ich ausspioniert werden.
Mit der Betriebssozialarbeit muss ich zusammenarbeiten. Bei Violence Network teilnehmen und über irgendwelche Sachen mit denen reden. Dass die dann prüfen, dass ich keine Terroristin bin. Es geht immer weiter und weiter. Seit einem halben Jahr.
Die bieten dir irgendwelche Kurse an, dass ich mich entradikalisiere. Was absoluter Quatsch ist, weil ich schon immer wusste, dass Menschen umbringen, ohne Grund und sich selbst in die Luft sprengen, dass das keine gute Tat ist. In allen drei Buchreligionen, ist Selbstmord verboten. Und Selbstmord ist ein Grund in die Hölle zu kommen.
Ich hab mir dann gedacht, ich muss jetzt die Schule wechseln. Ich hatte keine Kraft mehr. Es war mir alles zu viel.
Ich war schlecht in Mathe, aber sonst stand ich überall auf 2 oder so. Also eigentlich gut. Aber dann ab Mitte, Ende des Schuljahres hatte ich keine Kraft mehr. Was Schule anging. Sonst gings mir eigentlich gut. Alhamdulillah.
Das war fast schon wie in der 5. Klasse, dass es zu körperlichen Beschwerden kam. Ich war sogar fünf Tage im Krankenhaus, weil ich so Bauchprobleme hatte. Da ging’s sogar um Operation.
Ich hab nichts mehr geschrieben, keine Prüfungen mehr. Hab nur meinen Namen reingeschrieben und abgegeben. Ich wollte niemanden von dieser Schule mehr sehen. Nichts mehr von diesen Diskriminierungen und Beleidigungen, auch von den Schülern, auch wenn sie muslimische Eltern haben, haben die mich trotzdem diskriminiert. Haben mir immer wieder irgendwelche Sprüche gedrückt. Auch wegen meiner Kleidung. Das war wirklich extremst.
Dann hab ich mir gedacht, nee, ich kann nicht mehr. Deswegen bin ich dann auf dem Papier auch durchgefallen. Weil ich ja einfach nichts mehr hingeschrieben hab. Die Prüfungen waren dann logischerweise nur 6er. Dann rutscht man von ner 2 auf ne 3, vielleicht sogar auf ne 4. Und in Mathe war ich dann auf einer 4 oder einer 5.
Dann hab ich mir überlegt, soll ich jetzt auf eine Realschule gehen? Ich hab gesucht, aber es war so ein Gefühl, du wirst jetzt keine gute Realschule finden. Es soll eine Hauptschule sein. Aber M-Zug. Es ist Realschulabschluss, aber du machst auch Quali. Es ist beides. Der Unterricht ist eigentlich auch wie in der Realschule.
Dann bin ich eben in meine jetzige Schule gekommen und es ist unglaublich toll. Ich werde dort respektiert. Die Rektorin ist so ne feine Lady. So bisschen älter und schaut aber voll auf sich. Sie ist so toll.
Generell, die Schüler, also es gibt natürlich auch assoziale, aber es ist überhaupt nicht so, dass ich diskriminiert werde oder irgendwelche dummen Sprüche kommen oder so. Und die Lehrer sind wirklich sehr sehr gut. Meine Lehrer, die ich jetzt habe, sind alle richtig richtig toll. Die kümmern sich, die respektieren mich komplett. Es ist sogar ein Lehrer, sogar ein Katholischlehrer zu mir gekommen und hat gesagt, wenn irgendwas ist, wenn irgendjemand was zu dir sagt, wir regeln das. Es wird immer viel Hilfe von denen angeboten. Ja, ich bin richtig richtig froh darüber.
Februar 2019
Für knapp 10 Wochen bin ich bei meiner Mutter ausgezogen und habe in einer Schutzstelle gewohnt. Sie hat mich total eingeschränkt, ist immer wieder ausgerastet wegen dem Islam, hatte Panik und total die Kontrolle verloren. Das war überhaupt nicht mehr tragbar für mich mit ihren psychischen Problemen.
Drei Monate führten wir Gespräche über die Organisation TASK Force. Alle zwei Wochen. Mittlerweile geht es wieder und wir wohnen wieder zusammen. Meine Freundin Khadijah war zusammen mit mir in die Schutzstelle gegangen. Die Beziehung zu ihrer Mutter wegen dem Islam war auch sehr schwierig. Khadijah trägt ja auch den Niqab, mit 2. Lage, und Handschuhen. So wie ich meistens auch nur noch. Sie wohnt jetzt noch in der Schutzstelle.
Viele meiner Freundinnen sind weggezogen oder ausgewandert. Eine ist nach Düsseldorf. Vier von Fünf Frauen in die Emirate und Ägypten.
Seit 2,5 Jahren trage ich jetzt den Niqab. Mit Handschuhen und der 2. Lage vor den Augen. In der Schule klappe ich ihn hoch. Die Schulkameraden möchten nicht mit mir gesehen werden. Wollen nicht mit mir in Verbindung gebracht werden. Mit mir, mit meiner Kleidung. Aber ich fand es toll alleine. Das ist voll OK.
Da fing mal eine Schulkameradin an, mir Fragen zum Islam zu stellen. So in der Pause. Wir freundeten uns an. Besuchen uns gegenseitig, tauschen uns aus zum Christentum und dem Islam.
Bald werde ich 18.
In der Schule läuft es sonst super, ich bin in der 10. Klasse und Klassenbeste. Ich interessiere mich auch für so Projekte wie du. Vielleicht möchte ich mal später als Journalistin arbeiten. Ich würde gerne studieren.
Vernissage Impressionen «Munaqabba – Über Frauen in Vollverschleierung in Deutschland»
Atelierzentrum Ehrenfeld, Köln 2019
Ausstellungsansicht «Munaqabba» in der Gruppenausstellung SELF REFLECTION, Artrmx e.V. / Photoszene 2018
Förderer
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